Zeitungsbericht Tauberzeitung 27.09.1997



W i n z e r t a n z / „Mir halde zamm, zamm, zamm!”

Wenn echte Steidemer

glänzende Augen bekommen

Mehr als nur eine feuchtfröhliche Gemeinschaft

„Jaaaa, mir gräne Winzertänzer halde zamm, zamm, zamm...!”, singt, grölt oder schreit es seit fünf Wochen durch die örtlichen Gaststätten; - frei nach dem Motto „Je später der Abend, desto lauter der Schrei”. Und zumindest die „Stiefelkönige” des Abends sind nicht mehr allein, wenn sie nach Hause schwanken: Ein kräftiger „Affe” begleitet selbst die Trinkfesten.


Michael Schwarz


Niederstetten • Herbstfest-Zeit, das ist auch gleichzeitig Winzertanz-Zeit. Undenkbar ist das Steidemer Fest ohne das imposante Schauspiel auf dem Sportplatz. Heuer sind es fast 100 junge Leute aus dem Vorbachtalstädtchen, die sich regelmäßig zu den Proben auf dem nächtlichen Fußballplatz treffen, und die im Galopp in den „Burschenstern”, die „Spirale” oder in die „Große Welle” „hüpfen”, wie im Winzerjargon das Tanzen heißt. Am Herbstfestsonntag, nach dem Festumzug, müssen die traditionellen Tanz-Figuren schließlich sitzen.

Damit sich die Abfolge auch wirklich in den Gehirnen festsetzt, hilft man nach der Probe mit etwas „geistigem Denkwasser” nach, rote Winzer und Winzerinnen trinken (zumeist Bier, nicht Wein) gegen die grünen, so will es der Brauch. Am Winzertanztag wird dann die Abrechnung gemacht: eine Ehre, wer bei der bierfreudigsten Gruppe gewesen ist.

So feuchtfröhlich die Vorbereiungsphase auch sein mag, der Winzertanz ist viel mehr. „Es macht einfach Spaß in der Gruppe, und vor allem der Zusammenhalt”, bringt eine Tänzerin das „Eigentliche" auf den Punkt. Die Niederstettener Jugendlichen - oft in unter­schiedlichen Vereinen organi­siert - finden sich hier in einem gewaltigen Schmelztiegel. Dort ist durch den Tanz verbunden, ja zusammengeschweißt, was sich vorher vielleicht noch gar nicht kannte.

Für den Außenstehenden wirken die Winzer - wie alle Gruppen mit einem festen Zusammenhalt - in ihrer eigenen Fröhlichkeit tatsächlich auch etwas befremdlich: man verspürt sein „Draußensein” besonders deutlich. Nach innen stärken über die Jahrzehnte heraus­gebildete Rituale die Verbundenheit. Beim Biertrinken aus dem großen mehrliterigen Glasstiefel muss zum Beispiel die vorgeschriebene „Abklopf­folge” peinlich genau eingehalten werden; als unverantwortlich gilt es, „seine” Winzerin, nach der Probe nicht nachhause zu begleiten.

Wer platzt, zahlt

Verstöße gegen die Regeln werden, der Schwere entsprechend, geahndet. Wer etwa beim Stiefeltrinken patzt, darf den nächsten aus seiner Tasche bezahlen. Wer quer schlägt und sich gar nicht in die Gruppe einordnen will, dem kann auch schon einmal ein echtes nächtliches Femegericht blühen. Nach dem Urteilsspruch der altgedienten Tänzer wird eine (symbolische) Strafe über den Tunichtgut verhängt und zum Gaudium der übrigen gleich vollstreckt. Gemeinschaft, Gruppe, Brauch­tum, eingedampft auf fünf Wochen, ergeben ein (Er-)lebens-Sirup, das süchtig zu machen scheint. Viele Tänzer gehören seit Jahren - auch über die Jugendzeit hinaus - dazu. „Was mich aber fasziniert, ist, dass ich feststelle, dass die heutige Jugend eigentlich kein Jota schlechter ist, als die von früher”, verteidigt Ernst Wollinger, nunmehr seit 33 Jahren der Leiter der Gruppe, seine „lebhaften” Schützlinge. Das Aufmüpfige gehöre zur Jugend, und „wenn ich was sooch, dann spure die Kerle!”; Und in der Tat, wenn der „Ernscht” in der Probe auf seiner Pfeife trillert, kehrt Ruhe ein: „Da muss auch jeder aufmerksam sei, sonscht klappt der ganze Winzertanz net.”; Jeder einzelne muss an das ganze, den Tanz denken, so entsteht ein Klima, „wo die Leut' wisse, wo's nou ghäre.”

Ein echter Steidemer..:

Unter Wollinger's väterlicher Leitung haben sich einige Besonderheiten entwickelt, die es früher (den Winzertanz gibt es seit 1925) nicht gab. Am Abend vor dem Auftritt treffen sich die Tänzer in einem der vielen alten Gewölbekeller, die es „unterhalb” von Niederstetten gibt. Hier - im geheimen und quasi im Schoß der Erde - wird gesungen und gefeiert bis in die Frühe. Nach der Aufführung am Sonntag ziehen die Winzer zu ihrem Leiter, von dem sie bewirtet werden. Als Wieder­gutmachung für die geschädigten Nerven erhalten Ernst und Helga Wollinger (sie sorgt für die Kostüme) eine Kiste Wein.

„Wer ein echter Steidemer sein will, muss wenigstens einmal beim Winzertanz mitgemacht haben”, das ist am Vorbach ein stehender Ausdruck. Genera­tionen haben schon mitgetanzt und so verwundert es nicht, dass mancher ausgeschiedene Alt-Winzer feuchte Augen bekommt, wenn er am Sonntag (oder am Montagabend bei Fackelschein) die heurigen roten und grünen Tänzer „ihren” Winzertanz „hopfen” sieht, als wären sie die ersten, die ihn tanzen...